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Ist ein Boardinghaus in einem reinen Wohngebiet zulässig?

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 14.03.2024 – 14 S 1655/23) darüber zu befinden, in welche Kategorie der baulichen Nutzung ein „Boardinghaus“ fällt und ob dieses, zum Beispiel als kleiner Betrieb des Beherbergungsgewerbes, in Wohngebieten zulässig ist, die den Charakter eines reinen bzw. allgemeinen Wohngebiets aufweisen.

Was versteht man unter einem Boardinghaus?

Bei einem Boardinghaus handelt es sich meistens um eine voll möblierte Wohnung, die für eine längerfristigen Aufenthalt (in der Regel ein bis sechs Monate) zu Zwecken, die nicht der Freizeitgestaltung dienen, vermietet wird. Nutzer sind üblicherweise Arbeitnehmer, die vorübergehend an einem anderen Dienstort eingesetzt werden sollen oder, nach einer räumlichen Versetzung, auf eine vorübergehende Bleibe angewiesen sind, bis sie eine dauerhafte Wohnung gefunden haben. Teilweise werden Wohnungen und Apartments in Boardinghäusern über normale Hotel-Buchungsportale zur Verfügung gestellt. Umfasst sind neben Textilien und Küchenutensilien häufig auch Reinigung und weitere Serviceleistungen.

In dem vom VGH zu entscheidenen Fall waren zunächst drei Wohnungen zur Dauervermietung sowie vier Appartements zur Kurzzeitvermietung als Beherbergungsbetrieb genehmigt worden. Nur kurze Zeit danach beabsichtigte der spätere Kläger eine Nutzungsänderung einer der Wohnungen ebenfalls hin zur Kurzzeitvermietung. Dies wurde von der zuständigen Baurechtsbehörde abgelehnt. Hiergegen ging der Kläger vor.

Zulässigkeit in einem (reinen) Wohngebiet?

Dem VGH stellte sich nun die Frage, inwieweit ein solches Konzept mit der Wohnnutzung in einem reinen Wohngebiet kompatibel ist; insbesondere ob sich das Vorhaben nach seiner Art in die Umgebungsbebauung einfügt.

Grundsätzlich dienen reine Wohngebiete ausschließlich dem Wohnen (§ 3 Baunutzungsverordnung); in ihnen sind neben Wohngebieten lediglich Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen, zulässig. Ausnahmsweise können Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen, sowie kleine Betriebe des Beherbergungsgewerbes und weitere an Lagen für soziale, kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke in einem reinen Wohngebiet zugelassen werden. Für das gegenständliche Boardinghaus stellte sich die Frage, ob dieses einen „kleinen“ Betrieb des Beherbergungsgewerbes darstellt und folglich als Ausnahme im reinen Wohngebiet zugelassen werden könnte.

Boardinghaus dient nicht der Wohnnutzung

Der Verwaltungsgerichtshof erachtete die Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil als unbegründet und verneinte einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Änderungsbaugenehmigung für die Wohnung von Dauerwohnnutzung zur beabsichtigten Nutzung als Boardingwohnung. Zur Abgrenzung legte er folgende Maßstäbe zugrunde:

„Von einem „Wohnen“ im bauplanungsrechtlichen Sinn ist nur bei einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit auszugehen, die sich durch die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts auszeichnet. Erfolgt eine Unterbringung hingegen nur übergangsweise für einen begrenzten Zweck mit einem nicht über einen längeren Zeitraum gleichbleibenden Bewohnerkreis in einem Raum, handelt es sich um eine andere Nutzungsart als Wohnen.“

Abzugrenzen sei die Wohnnutzung insbesondere von einer Nutzung als Beherbergungsbetrieb:

„Für diese ist im Vergleich zum Wohnen kennzeichnend, dass Räume ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt werden, ohne dass diese dort typischerweise eine eigene Häuslichkeit begründen, d. h. ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können. Abgrenzungskriterien können sich hierbei auch aus Art und Inhalt der Bewerbung der Räumlichkeiten und der Frage ergeben, ob im Zusammenhang mit der Vermietung für einen Beherbergungsbetrieb typische Dienstleistungen wie etwa die Bereitstellung von Bettwäsche oder die Erledigung der Endreinigung erbracht werden.“

Abgrenzung Wohnnutzung/Beherbergung

Auf Boardinghäuser bezogen stellte der VGH folgende Überlegungen an und nahm eine Abgrenzung zwischen Wohnnutzung und Beherbergung vor:

„Anhand der vorstehenden Maßstäbe einzuordnen sind insbesondere auch sog. Boardinghäuser. Diese stellen eine Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb dar, bei der sich die Zuordnung abhängig von den Umständen des Einzelfalls nach dem Nutzungsschwerpunkt bestimmt. Für diesen kommt es darauf an, welcher Leistungsumfang vom Nutzungskonzept umfasst ist, und ob sich der angegebene Nutzungszweck des Vorhabens, der grundsätzlich durch den Bauherrn bestimmt wird, innerhalb des objektiv Möglichen hält. Zu berücksichtigen sind hier insbesondere die Größe und Ausstattung der Räume sowie das Verhältnis der Gesamtraumzahl zu eventuellen Serviceräumen (Speise- und Aufenthaltsräumen), ferner die vorhandenen Möglichkeiten der Selbstversorgung einerseits und die angebotenen Serviceleistungen andererseits. Allein der Umstand, dass Räumlichkeiten auch längerfristig vermietet werden, steht der Einordnung als Beherbergungsbetrieb dabei nicht entgegen.“

Boardinghaus ist Beherbergungsbetrieb

Für den konkreten Fall bedeutete dies:

„Die von dem Kläger als „Boardinghouse“ umschriebene Nutzung ist stattdessen als Beherbergungsbetrieb anzusehen. Für einen solchen untypisch – und isoliert betrachtet eher für eine Wohnnutzung sprechend – sind die Bewohner der Unterkunft zwar wegen der Küche zu einer Selbstversorgung in der Lage. Die übrigen Umstände sprechen aber gegen eine Wohnnutzung und in der gebotenen Schwerpunktbetrachtung für eine Zuordnung zur Kategorie des Beherbergungsgewerbes. Für die Einordnung als Beherbergungsbetrieb streitet neben der bereits genannten zeitlichen Begrenzung der Aufenthalte der vom Kläger in der Betriebsbeschreibung erläuterte neue Nutzungszweck der Zwei-Zimmer-Unterkunft, die vorgesehene Bewerbung über Plattformen wie die in der Baubeschreibung genannten Portale „HRS“ oder „booking.com“ und das von ihm inzwischen genutzte, in der mündlichen Verhandlung angesprochene Portal „www.ohne-makler.net“ sowie die als Ergänzung zur Vermietung vorgesehenen Dienstleistungen wie wöchentliche Zimmerreinigung, Wäschereinigung, Frühstückslieferungen und Shuttleservices, die der Kläger in der Betriebsbeschreibung genannt hat und die im Rahmen der vorhandenen Räumlichkeiten auch objektiv wie von ihm im Baugenehmigungsverfahren beschrieben umgesetzt werden können.“

Nur „kleine“ Beherbergungsbetriebe zulässig

Nachdem das Boardinghaus vorliegend – und dem ist im Ergebnis aufgrund der konkreten Ausrichtung des Nutzungskonzepts mit umfassenden Serviceleistungen, wie sie für Hotels üblich sind – als Beherbergungsbetrieb eingeordnet wurde, verneinte der VGH dessen Zulässigkeit. Das Vorhaben entspreche nach Erweiterung von vier auf fünf Boardingwohnungen nicht (mehr) der Eigenart der näheren Umgebung gemäß § 34 Baugesetzbuch. Die nähere Umgebung sei geprägt von Wohnnutzung und entspreche einem reinen Wohngebiet nach § 3 Baunutzungsverordnung. Das Vorhaben erfülle zwar die allgemeinen Voraussetzungen für einen „Betrieb des Beherbergungsgewerbes, stelle sich aber nach der geplanten Nutzungsänderung der weiteren Wohnung nicht mehr als „klein“ dar:

„Wann ein Beherbergungsbetrieb im Sinn von § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO „klein“ ist, lässt sich nicht allgemein umschreiben, weil sein Bedeutungsgehalt auch von den tatsächlichen Auswirkungen des festgesetzten oder faktischen Baugebiets in der konkreten Örtlichkeit abhängt. Die Beschränkung der Regelnutzung in einem reinen Wohngebiet auf das Wohnen dient der Schaffung einer Umgebung, die durch Wohnruhe und Homogenität der Nutzung geprägt ist. Demgegenüber ist eine Beherbergung stets mit dem Eindringen eines wechselnden Personenkreises in die Umgebung verbunden und deshalb typischerweise durch ein gewisses Maß an Unruhe und Verkehr geprägt. Dies soll durch die Beschränkung auf „kleine“ Beherbergungsbetriebe eingeschränkt werden. Mit dem Merkmal soll gewährleistet sein, dass nur solche Betriebe zugelassen werden können, die gebietsverträglich sind. Maßgeblich ist vor diesem Hintergrund, ob sich der Betrieb nach Erscheinungsform, Betriebsform und Betriebsführung sowie unter Berücksichtigung der Zahl der Benutzer unauffällig in das Gebiet einordnet, wobei dem Schutz der Wohnruhe besondere Bedeutung zukommt. Wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei, wie sich der Betrieb auf seine Umgebung auswirkt und welche Störungen von ihm ausgehen.“

Auswirkungen auf Umgebung entscheidend

Konkretisierend führte der VGH zur dem Störpotenzial und den Auswirkungen auf die Umgebung Folgendes aus:

„Die diesbezügliche Prüfung hat über die Frage nach dem Störgrad und der Störanfälligkeit von Nutzungen im Hinblick auf Immissionen hinauszugehen. So kann die Wohnruhe beispielsweise auch durch häufige Nutzerwechsel, Unterschiede im Tagesablauf oder vermehrte Nutzung von Außenwohnbereichen auch in den Abend- und Nachtstunden gestört werden, wobei solche Störungen je nach den Umständen des Einzelfalls zunehmen können, je mehr die vorübergehend beherbergten Personen „unter sich“ bleiben, während die räumliche Nähe zu Dauerwohnern sozial kontrollierend wirken kann. Ausmaß und Akzeptanz von Störungen hängen ferner davon ab, welche Personen ein Gebiet typischerweise aufsuchen und ob das Gebiet im Übrigen touristisch oder beispielsweise großstädtisch geprägt ist. Für die Gebietsverträglichkeit können ferner die Lage des Beherbergungsbetriebs im Wohngebiet und die durch ihn hervorgerufene zusätzliche Verkehrsbelastung von Bedeutung sein.“

Beherbergungsbetrieb ist nicht mehr „klein“

Und für den vorliegenden Fall entschied der VGH mit der nachfolgenden Begründung, dass der Beherbergungsbetrieb nicht mehr „klein“ sei:

„Eine feste, allgemein gültige Grenzziehung anhand einer bestimmten Zahl von Betten, die einheitlich für alle nach § 3 BauNVO zu beurteilenden Baugebiete gälte, lässt § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nicht zu. Die Frage, ob der Betrieb noch als „klein“ einzustufen ist, kann aber im Einzelfall – zumindest indiziell – auch nach der Bettenzahl als einem dafür maßgeblichen Merkmal beantwortet werden. Maßgeblich bleiben aber auch hier die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Bei der deshalb stets erforderlichen, über die reine Zimmer- und Bettenzahl hinausgehenden Gesamtbetrachtung kann insbesondere auch die Frage, ob die zu beherbergenden Personen nach dem Nutzungskonzept ausschließlich oder vornehmlich wohnen oder übernachten oder darüber hinaus, wie etwa die Gäste eines herkömmlichen Hotel- bzw. sonstigen Beherbergungsbetriebs, zusätzliche Bewirtungs- oder Freizeitangebote in Anspruch nehmen werden, Anhaltspunkte für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals „klein“ bieten.“

An den vorstehenden Maßstäben gemessen würde sich der Beherbergungsbetrieb des Klägers nach der geplanten Nutzungsänderung nicht mehr „klein“ im Sinn von § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO darstellen. Die beachtliche Nutzerzahl von 14 Personen allein bietet per se kein Argument, das mit ausschlaggebendem Gewicht dafür sprechen könnte, den Betrieb noch als „klein“ einzuordnen. Das gilt selbst dann, wenn man bei dieser Betrachtung zugunsten des Klägers außer Betracht lässt, dass er in sein BoardinghouseKonzept eine weitere Unterkunft in derselben Straße einbezogen hat, die er zusammen mit den Appartements im Gebäude Nr. xx einheitlich bewirbt („Appartement 6“ für weitere „max. 3“ Personen). Bereits mit einer Nutzerzahl von bis zu 14 Gästen würde sich der Beherbergungsbetrieb eher im oberen Randbereich dessen bewegen, was als „kleiner“ Beherbergungsbetrieb überhaupt in Betracht kommt. Maßgeblich sind deshalb in erster Linie die weiteren Umstände – dazu sogleich – des vorliegenden Einzelfalls.“

Zu erwartendes Störpotenzial

Zum einen habe der Kläger auf den Buchungsportalen höhere Belegungszahlen angegeben als in den Schriftsätzen des gerichtlichen Verfahrens; diese Differenz hätte er nicht relativieren können. Zum anderen war für den Kläger nachteilig, dass sämtliche Wohnungen nur über eine Außentreppe erreichbar waren, die den Nutzer-, Betriebs- und Besucherverkehr deutlicher als in anderen Bauten nach außen in Erscheinung treten ließe. Entscheidend war letztlich die Häufigkeit des Nutzerwechsels, weil der Kläger die dahingehenden Bedenken nicht ausräumen konnte, da er nur eine Mindestnutzdauer von einem Monat „anstrebe“, diese aber nicht zur Bedingung machte. Eine Rolle spielte auch die Tatsache, dass das Konzept nicht ausschließe, dass die Wohnung auch von Touristen gebucht werde. Insbesondere die Belegenheit in der Innenstadt des touristisch geprägten Heidelbergs lasse dies vermuten. Eine touristische Beherbergung führe nach Ansicht des VGH zu „Unterschieden im Tagesablauf“ zwischen Beherbergungsgästen einerseits und Wohnnutzern andererseits und lasse eine „vermehrte Nutzung von Außenwohnbereichen auch in den Abend- und Nachtstunden“ befürchten.

Letztlich sprachen auch die vom Betreiber angebotenen Serviceleistungen (Shuttleservice zu Bahnhof und Flughafen, wöchentliche Zimmerreinigung inkl. Bettwäsche- und Handtuchwechsel, Wäschereinigung, Frühstückslieferung auf das Zimmer, Bring- und Holdienste sowie Sekretariatsdienste) gegen die Einordnung als gebietsverträglicher kleiner Beherbergungsbetrieb. Durch die Dienstleistungen würden weitere Fahrten zu und von den Appartements hervorgerufen, die über eine übliche Wohnnutzung hinausgehen und nicht gebietsverträglich seien. Dementsprechend lehnte der VGH die beantragte Änderungsgenehmigung ab, da das maßgebliche Kriterium „kleiner Betrieb“ nicht erfüllt sei.

Fazit: Beratung zum Konzept empfehlenswert

Wie die Entscheidung zeigt, können diese Fälle nicht pauschal entschieden werden, sondern ist eine sehr filigrane Prüfung des Nutzungskonzepts, der baulichen Beschaffenheit, der Umgebung und weiteren Merkmalen wie Bettenanzahl, angebotene Serviceleistungen und Integration der Boardingwohnungen in die ansonsten einer Wohnnutzung dienenden Gebäude, erforderlich. Dies ist für den Bauherrn, der eine derartige Umnutzung anstrebt, Fluch und Segen zugleich. Nachteilig ist, dass mitunter lange ausgefochten werden muss, ob die konkret beabsichtigte Nutzung baurechtlich zulässig ist. Nicht selten wird es einer gerichtlichen Klärung bedürfen. Von Vorteil ist aber, dass es der Bauherr selbst in der Hand hat, anhand der relevanten Kriterien sein Nutzungskonzept so auszugestalten, dass die Erteilung einer Genehmigung zumindest wahrscheinlich ist.

Mit entsprechender Beratung und bewusster Konzeptionierung lässt sich daher eine Zulässigkeit eines Boardinghauses auch im reinen Wohngebiet realisieren. Hier gilt – wie so oft –, dass sich eine Investition im Vorfeld in der Regel auszahlt und sich auf diese Weise eine lange währende Unsicherheit vermeiden lässt, die ansonsten nur mit gerichtlicher Hilfe und unter Anfall erheblicher Kosten geklärt werden könnte.

Gerne stehen wir Ihnen in einer solchen Angelegenheit beratend zur Verfügung; gleichwohl, ob Sie selbst ein entsprechendes Vorhaben verfolgen oder als Angrenzer von einer derartigen Nutzungsänderung betroffen sind. Wir beraten Sie über die rechtliche Einordnung des Boardinghauses im Einzelfall und vertreten Sie – falls erforderlich – gegenüber Behörden und Verwaltungsgerichten. Als Ansprechpartner steht Ihnen Rechtsanwalt Raphael Beck gerne zur Seite.

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