In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Bauherren im Zuge einer Nutzungsänderung unterstellt wird, sie hätten auf die ursprüngliche Baugenehmigung (inzident) verzichtet.
Mit dieser Problematik hatte sich der VGH Hessen im Rahmen einer Beschluss-Entscheidung vom 17.03.2025 (Az.: 5 B 161/25) zu befassen; es ging um Folgendes:
Dem früheren Eigentümer eines Gebäudes wurde schon in den siebziger Jahren die Genehmigung für eine Diskothek erteilt, die danach auch betrieben wurde. Das Gebäude lag in einem faktischen Kerngebiet. Wann die Nutzung aufgegeben wurde, ist nicht genau bekannt. Jedenfalls wurde im Zeitraum von 1996-2024 dort eine „Karaoke-Bar“ betrieben. Seit August 2024 betreibt dort ein neuer Eigentümer eine Diskothek.
Der Nachbar stört sich an den von der Diskothek ausgehenden Lärmbelastung. Er beauftragt einen Sachverständigen mit der Messung des Lärmpegels und beantragt darauf gestützt bei der Baubehörde ein Einschreiten gegen die aus dessen Sicht illegale Diskotheken-Nutzung. Bevor die Behörde entscheidet, stellt der Eigentümer einen Eilantrag auf Verpflichtung der Behörde zu einem bauaufsichtsrechtlichen Einschreiten. Der Antrag wird erstinstanzlich abgelehnt.
Der VGH Hessen bestätigt die Entscheidung, was wie folgt begründet wird: Der Betrieb der Diskothek ist formell legal und wird von der Baugenehmigung aus 1972 gedeckt. Durch die zeitweilige Nichtausnutzung derselben ist diese nicht ungültig geworden. Anders als im Falle einer erteilten und nicht ausgenutzten Baugenehmigung erlischt diese nicht erst nach 3 Jahren. Denn der Bauherr ist bei einer ins Werk gesetzten Baugenehmigung schutzbedürftiger. An die Voraussetzungen für einen Verzicht der Baugenehmigung sind hohe Anforderungen zu stellen, die nicht allein durch eine zeitweilige Nichtausnutzung einer Baugenehmigung erfüllt werden. Anders ist dies nur, wenn die genehmigte Nutzung auf Dauer durch eine funktional andere Nutzung ersetzt worden wäre. Die zwischenzeitliche Nutzung als Karaoke-Bar überliegt jedoch noch in der Variationsbreite der ursprünglich genehmigten Nutzung. Beides – Diskothek und Karaoke-Bar – sind Vergnügungsstätten mit Musik- und Alkoholgenuss, die in der Regel abends und an den Wochenenden betrieben werden. Im Ergebnis genießt danach die Diskothek seit 1972 Bestandsschutz.
Anmerkung: Die lesenswerte Entscheidung, die auch Ausführungen dazu enthält, welche konkreten Inhalte an ein Lärmgutachten zu stellen sind, ist zutreffend. Bestandsschutz erstreckt sich auf die genehmigte Nutzung in einer im Einzelfall festzustellenden Variationsbreite. Der Verzicht auf eine Baugenehmigung stellt einen engen Ausnahmetatbestand dar.
Quellenhinweis IBR 2025, 667
Walther Glaser
Rechtsanwalt
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